Desiderata
Gehe gelassen inmitten von Lärm und Hast und denke daran,
welcher Friede in der Stille sein mag. Soweit wie möglich versuche
mit allen Menschen auszukommen, ohne dich zu unterwerfen.
Sprich deine Wahrheit ruhig und klar und höre anderen zu,
auch den Dummen und Unwissenden, auch sie haben ihre Geschichte.
Vermeide laute aggressive Menschen, sie sind eine Plage für die
Seele. Wenn Du Dich mit anderen vergleichst, dann magst Du eitel
oder bitter werden, denn es gibt immer größere oder geringere
Menschen als Du.
Freue Dich über Deine Erfolge und Pläne.
Nimm Deine Arbeit ernst, aber bleibe bescheiden, es ist ein
wirklicher Besitz in den wechselnden Geschicken des Lebens.
Sei vorsichtig mit geschäftlichen Dingen, denn die Welt ist voller
Listen. Aber sei Du selbst. Besonders heuchle keine Zärtlichkeiten.
Sei aber auch nicht zynisch in Bezug auf die Liebe,
denn angesichts aller Trockenheit und Entzauberung
ist sie wiederkehrend wie das Gras. Nimm gütig den Rat der Jahre
an und lass mit Anmut die Dinge der Jugend hinter Dir.
Nähre die Stärke der Seele, um in plötzlichem Unglück nicht
schutzlos zu sein. Aber beunruhige Dich nicht mit Grübeleien.
Abgesehen von einer gesunden Disziplin sei milde mit Dir selbst.
Du bist ein Kind des Universums, nicht weniger als die Bäume und die
Sterne. Du hast ein Recht hier zu sein. Und ob es Dir klar ist oder
nicht – kein Zweifel, das Universum entfaltet sich wie es soll.
Deshalb sei in Frieden mit Gott, wie immer Du ihn Dir auch vorstellst,
und was immer Deine Mühen und Ziele sein mögen in der
lärmenden Verwirrtheit des Lebens, halte Frieden mit Deiner Seele.
Mit all ihrem Schein, Plackerei und den zerbrochenen Träumen,
ist es doch eine schöne Welt.
Sei achtsam und versuche glücklich zu werden.
Gefunden bei Renovierungsarbeiten in einer Kirche in Baltimore um 1600 (Verfasser unbekannt).
—————————-
Selbstverständlichkeiten
Ein Mann sitzt mit seinem 17-jährigen Sohn im Zug.
Mit großen Augen schaut der junge Mann aus dem Fenster
und fragt: „Papa, ist das eine Kuh?
Der Vater lächelt und antwortet: „Ja, mein Sohn.“
Aufgeregt spricht der Junge weiter: „Papa, diese Blumen
sind Sonnenblumen, oder?“ Die Antwort lautet wieder:
„Ja, mein Sohn.“ Viele weitere Fragen folgen:
„Papa, ist das ein Lastwagen?
… eine Tanne? … ein Hubschrauber? … ein hoher Berg …?“
Stets folgt die selbe Antwort: „Ja, mein Sohn.“
Zwischendurch zeigt der Vater in eine Richtung und sagt:
„Schau, mein Sohn, der Vogel ist ein Bussard,
dieser Baum ist eine Eiche und dort ist ein Rapsfeld …“
Ein Fahrgast, der den beiden gegenüber sitzt, spricht den Vater nach einer Weile an:
„Bei allem Respekt, das Verhalten Ihres Sohnes ist
doch sehr merkwürdig.“ Gereizt weist er ihn darauf hin,
dass es heutzutage doch sehr gute Kliniken für „Fälle wie diesen“
gäbe und die Medizin in alle Richtungen große Fortschritte mache.
Der Vater unterbricht ihn: „Wie recht Sie doch haben!“
ruft er und fährt freundlich fort:
„Von solch einer Fachklinik kommen wir gerade.
Mein Sohn hat vor zwölf Jahren sein Augenlicht verloren
und kann seit wenigen Tagen wieder sehen.“
Sichtlich beschämt senkt der Mann den Blick.
Nach einer Weile wendet er sich dem Jungen zu:
„Junger Mann, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.“
Und nach einer Pause sagt er noch: „Und ich möchte
mich bei Ihnen bedanken. Sie haben mir eben aufgezeigt, dass ich
vieles Wertvolle im Leben gar nicht mehr wahrnehme,
weil ich es für selbstverständlich gehalten habe.“ Danke!
Wir denken selten an das was wir haben, aber sehr oft an das was uns fehlt!